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Bahnstreik: ZDF recherchiert sich aufs Abstellgleis

Bahngleise mit Weiche

Was ist bloß schiefgelaufen beim Tarifkonflikt von GDL und Deutscher Bahn, dass sich beide derart hart angehen? Das ZDF schickt Britta Jäger auf Spurensuche – doch die findet keine Antwort.

von Dominique Schmidt

„Was ist bloß schiefgelaufen?“, fragt das ZDF ab Minute drei der Spätnachrichten vom 6. Mai und findet keine Antwort. Stattdessen liefert Britta Jäger einen süffisanten Beitrag voll altbekannter Floskeln: „Ja, es nervt“, ein Streik, bei dem es „noch nicht einmal um Löhne und Gehälter geht“, sondern darum „wer mit wem für wen verhandelt“.

Soweit, so richtig. Doch wer sich mit dem Tarifkonflikt beschäftigt hat, der weiß: Über Lohn verhandelt wurde bislang deshalb nicht, weil die Bahn sich weigert, mit der GDL Tarifverhandlungen für alle ihre Mitglieder zu führen. Nicht erst seit gestern, sondern seit vielen, vielen Jahren.

Dass der Beitrag dann auch die Vorgeschichte aufgreift, nährt die Hoffnung auf einen ausgewogenen Bericht: Die EVG-Vorgängergewerkschaft Transnet habe gemeinsame Sache mit der DB auf Kosten der Belegschaft gemacht, wofür der Transnet-Vorsitzende Norbert Hansen einen lukrativen Vorstandsposten bekommen habe. Das sei der GDL zu viel gewesen, weshalb sie 2002 die Tarifpartnerschaft aufkündigte, um selbst für ihre Mitglieder zu verhandeln. Doch da macht die Bahn nicht mit – sie will nur einen Tarifvertrag im Betrieb, um die Tarifeinheit sicherzustellen. Zu Recht, könnte man meinen, wenn man der Darstellung des ZDF folgt.

Wäre da nicht ein gewichtiges Detail, das im ZDF-Beitrag unerwähnt bleibt. Das Bundesarbeitsgericht hatte nämlich in einem Grundsatzurteil im Jahr 2010 entschieden, dass die Praxis der Tarifeinheit gegen das Grundgesetz verstößt. Seither hat die GDL das Recht, eigene Tarifabschlüsse für ihre Mitglieder anzustreben. Doch die Bahn tut so, als hätte es dieses Urteil nie gegeben und hält an ihrer Forderung nach Tarifeinheit fest. Und das ZDF hilft mit, indem es diesen Kern des Konfliktes verschweigt und stattdessen so tut, als sei die Forderung der GDL nach einem eigenen Tarifvertrag etwas Irrationales:

„Die GDL will neben den Lokführern auch noch Zugbegleiter, Lokrangierer und Bordgastronomen vertreten, die bei ihr Mitglied sind, aber für die verhandelt bislang die größere Gewerkschaft EVG. Warum will die GDL eine Neuregelung?“

Was bitteschön, Frau Jäger, ist daran fragwürdig, wenn die GDL für ihre Mitglieder verhandeln will? Ist es wirklich verwunderlich, dass sie keine Regelung akzeptiert, die ihr Grundrecht beschneidet und den eigenen Mitgliedern den Tarifvertrag der EVG aufzwingt? Erwartet Britta Jäger, dass die GDL sich freiwillig abschafft? Die GDL will eine Neuregelung, weil es ihre ureigenste Aufgabe als Gewerkschaft ist, für ihre Mitglieder Tarifverträge abzuschließen. Wer ihr das abspricht, kann mit gleichem Recht von einer Partei verlangen, nicht mehr zur Wahl anzutreten, weil bereits eine andere kandidiert.

Ja, der Streik nervt. Ja, es ist richtig, dass die GDL für alle ihre Mitglieder verhandeln will. Es ist auch richtig, dass bislang über Löhne noch nicht gesprochen wurde. Und es ist richtig, dass es darum geht, wer mit wem für wen verhandelt. Doch dass dem so ist liegt nicht daran, dass hier Menschen am Werk sind, die irrational handeln, wie Britta Jäger glauben machen will. Es liegt daran, dass die DB die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ignoriert und der GDL ihr per Grundgesetz zugesichertes Recht nicht zugesteht.

Ohne das Wissen um das Gerichtsurteil lässt sich dieser Streik nicht verstehen. Mit dem Wissen um das Urteil aber fallen alle Argumente gegen die GDL in sich zusammen. Denn gäbe es nicht die Forderung der Bahn nach Tarifeinheit, es gäbe auch keinen Streik. Dass die Kernforderungen der GDL nach 5 Prozent mehr Lohn und Überstundenabbau angemessen sind, wird von niemandem bestritten. Vermutlich hätte die Bahn längst einen vernünftigen Tarifabschluss mit der GDL erzielt, wäre sie nur bereit, sie als vollwertigen Verhandlungspartner zu akzeptieren.

Es drängt sich der Eindruck auf, der Bahn sei mehr am Konflikt als an einer Lösung gelegen. Sie schielt offenbar auf das geplante Tarifeinheitsgesetz, das schon deshalb verfassungswidrig ist, weil es eben jenes Prinzip wieder herstellen soll, das das Bundesarbeitsgericht als nicht grundgesetzkonform verworfen hatte. Dann nämlich soll im Streitfall automatisch der Tarifvertrag jener Gewerkschaft gelten, die die meisten Mitglieder in einer Berufsgruppe hat. Die unterlegene Gewerkschaft dürfte nicht mehr streiken – sie wäre dann praktisch nutzlos.

Dass das Tarifeinheitsgesetz aber Frieden stiften könnte, ist eine naive Vorstellung. Die Konfliktlinien werden damit nur verschoben. Aus dem Streit zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeber um Lohn und Gehalt würde ein Streit zwischen den Gewerkschaften untereinander um die Tarifführerschaft in einer Berufsgruppe. Wir hätten also jenen Machtkampf, den unsere Medien im Falle von EVG und GDL so vehement behaupten, den es aber dank des Grundsatzurteils des Bundesarbeitsgerichtes zurzeit gar nicht geben kann.

Klar ist: Das Tarifeinheitsgesetzes ist nicht dazu geeignet, Frieden zu schaffen. Aber es spaltet die Gewerkschaften und entmachtet sie. Damit ist das Gesetz nicht nur eine Bedrohung für die GDL, sondern für unser Grundrecht auf Koalitionsfreiheit überhaupt. Wer die GDL kritisiert, zeigt damit nur, dass er nicht verstanden hat, worum es beim Bahnstreik eigentlich geht. Nicht „die GDL erpresst das ganze Land“, sondern die Bundesregierung als Eigner der DB nimmt das Volk in Geiselhaft, um ein Grundrecht zu schleifen. Dass aber nicht sie, sondern die GDL am Pranger steht, ist wohl Beiträgen wie dem des ZDF zu verdanken.


ZDF heute nacht, Hintergrundbericht Bahnstreik, 06.05.2015, ab Minute 2:57

Bildnachweis: enjosmith / flickr / CC-BY-SA-2.0

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